[UPDATE Dezember] Tagebuch 1794: Die Pfalz während des Ersten Koalitionskriegs

von Karl August Köster (1776–1848) aus Friedelsheim

Veröffentlicht am 24. Januar 2024 Historisches Fundstück

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Historische Kriege werden oft als eine Abfolge von Schlachten, Belagerungen, Siegen und Niederlagen dargestellt. Gelegentlich werden auch die Bewegungen der Heerestruppen oder die Verlustzahlen bei Zusammenstößen beschrieben. Was jedoch häufig vernachlässigt wird, ist die Situation all derjenigen, die im Krieg lediglich eine passive Rolle spielen: Die Bevölkerung der Landesteile, die von den Durchzügen verschiedener Armeen betroffen sind, die die Last der notwendigen Versorgung der in der Nähe lagernden Truppen ertragen und bewältigen müssen oder die unter der Zerstörung wichtiger Infrastruktur leiden.

In unserer neuen Reihe Historische Fundstücke wollen wir im Laufe des Jahres den Fokus auf diese unfreiwilligen Kriegsteilnehmer mit einer besonderen Quelle richten: einem Tagebuch aus dem Jahr 1794, verfasst von dem damals 17-jährigen Karl August Köster (11.12.1776–20.3.1848). Fixpunkt des Tagebuchs ist das elterliche Weingut, der ehemalige Ramser Hof in Friedelsheim nahe Bad Dürkheim, das Köster nach seinem Studium und der Promotion in Marburg (ab 1796) und Heidelberg (ab 1799) übernehmen sollte. In Dürkheim arbeitete er zudem als Notar. Als Mitglied des Landraths des Bayerischen Rheinkreises war er lange Jahre dessen Präsident und darüber hinaus mehrfach Abgeordneter des Bayerischen Landtags, wo er als Mitglied der entschiedenen liberalen Opposition bekannt war. Krankheitsbedingt musste er 1837 sein Landtagsmandat abgeben. Elf Jahre später stirbt Köster im März 1858 in Friedelsheim.

Sein Tagebuch, das erstmals 1910 in den Leininger Geschichtsblättern abgedruckt wurde (Leininger Geschichtsblätter 9.1910 H. 7–11), zeichnet Köster als genauen Beobachter der lokalen Situation aus: Die mehrmonatige Belagerung der französischen Festung Landau durch die alliierten Truppen aus österreichischen und preußischen Heeresverbänden während des Ersten Koalitionskrieges war am 28. Dezember 1793 durch das Herannahen eines hoch motivierten Entsatzheeres gescheitert. Der Schlachtruf Landau ou la mort – ›Landau oder der Tod‹ hatte die republikanischen Truppen angetrieben. Für die Gegend um Dürkheim bedeutet dieser Rückzug zuerst einen Durchmarsch der preußischen Truppen und später die Ankunft der Vorhut der französischen Rheinarmee. Neben den Plünderungen, die unmittelbar während des Durchmarschs der Truppen zu erleiden waren, kamen für die Bewohnerinnen und Bewohner des nun besetzten Landstrichs ab diesem Zeitpunkt auch die Abgabe von Kontributionen zur Verpflegung und zum Unterhalt der Soldaten als Belastung hinzu.

In der neuen Reihe Historische Fundstücke, von der das Köster’sche Tagebuch der erste Beitrag ist, soll es weniger um eine historische Darstellung im klassischen Sinn gehen als vielmehr um die Quellen selbst. Sie stehen im Mittelpunkt und sollen neben einer flankierenden historischen Einordnung für sich sprechen. Entsprechend werden wir im Laufe dieses Jahres Karl August Köster bei seinen Erlebnissen vor 230 Jahren begleiten können. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen von Kösters erstem Tagebucheintrag vom Januar 1794.

Maximilian Lässig

Der Februar brachte für Karl August Köster und seine Familie keine Erleichterung. Im Gegenteil: Wenn man aufgrund seiner Ausführungen des vorangegangenen Monats den Eindruck gewinnen konnte, im Weingut wie auch im gesamten Dorf Friedelsheim sei nichts mehr zu plündern und zu requirieren, wird erst recht durch Kösters Bericht vom Februar deutlich, weshalb der Winter 1793/1794 als »Plünderwinter« im kulturellen Gedächtnis der Pfalz verhaftet blieb. Während ungefähr 10 % der Bewohnerinnen und Bewohner vor den Franzosen über den Rhein flohen, versuchten viele Bauernfamilien sich und ihr Vieh durch die Flucht in den Pfälzer Wald zu retten. Die Familien Köster hingegen versuchte ihren Besitz vor Ort zu schützen, was ihnen nur mäßig gelang.

Zwar ist Kösters Eintrag für den März 1794 recht kompakt. Dennoch beschreibt er sehr eindrücklich die Willkür, die eine unbewaffnete Bevölkerung zu erleiden hat, wenn sie bewaffneten Soldatentruppen hilflos ausgeliefert ist. Der Versuch, diesem Machtgefälle auf offiziellem Weg etwas entgegenzusetzen, führt dabei zu keiner Verbesserung der Zustände, sondern nur zu harschen Vergeltungsmaßnahmen. Auch, wenn es in einem Gebiet gerade nicht zu direkten militärischen Auseinandersetzungen kommt, zeigt Kösters Beispiel, dass diese scheinbar friedliche Zeit für die betroffene Bevölkerung keine Verschnaufpause darstellte. Im Gegenteil. Eine Besatzung, die nur auf der willkürlichen Macht Bewaffneter gegenüber Unbewaffneten fußt, wodurch eine zivile Durchsetzung von Rechten unwirksam wird, kann kaum als ›friedlich‹ bezeichnet werden.

Nach der Lektüre der vorangegangenen Einträge konnte man den Eindruck gewinnen, im Haus der Kösters sei nichts mehr übrig geblieben, das sich zu plündern lohne. In Karl August Kösters Eintrag vom April 1794 werden wir jedoch erfahren, dass dies noch lange nicht der Fall war. Allerdings war dies nicht das einzige und größte Problem, das die Familie Köster – und mit ihr das gesamte Dort Friedelsheim – zu ertragen hatte. Vermutlich aufgrund seines entschiedenen Einsatzes gegen die Plünderungen wird Köster selbst zur Zielscheibe der soldatischen Willkür: Mit gezücktem Säbel verfolgt und von der Guillotine bedroht, musste Köster im April 1794 ernsthaft um sein eigenes Leben fürchten.

Die französischen Eroberungen waren (noch) nicht dauerhaft, wie der Tagebucheintrag für den Mai zeigt. Während die Lage anfangs noch unübersichtlich ist und sowohl preußische als auch französische Truppen die Gegend rund um Friedelsheim beanspruchen, scheint sich eine gewisse Entspannung einzustellen, in der die Bevölkerung sogar das versteckte Vieh zurückzuholen wagt oder sich an die lange liegengebliebene Feldarbeit macht.

Bis auf die beiden letzten Sätze des Mai-Eintrags scheint sich im Juni 1794 für Köster kaum etwas Berichtenswertes ereignet zu haben. Deshalb fehlt ein eigener Text zu diesem Monat. Dass es sich hier allerdings um die berühmte Ruhe vor dem Sturm handelte, zeigen die Ereignisse, von denen Köster im Juli berichten kann: Die französischen Truppen greifen in einer großen Offensive die tief verschanzten alliierten Truppen an. Die Zeugnisse dieser Kämpfe lassen sich noch heute im Pfälzerwald bestaunen!

Dem Erntemonat August entsprechend war es den Verantwortlichen der französischen Truppen in dieser Zeit ein Hauptanliegen, sich mit Vorräten einzudecken. Wenn sie auch diesmal für die geforderten Güter wenigstens Empfangsbestätigungen erhielten, werden diese Abgaben den betroffenen Menschen – besonders nach den vorherigen, entbehrungsreichen Monaten – nicht leicht gefallen sein. So mussten die Erträge, die geerntet werden sollten, zuvor gesät werden, was eingedenk der Kriegswirren mehr schlecht als recht möglich gewesen sein wird.

Dass von den französischen Truppen besetzt zu sein nicht bedeutet, nun seine Ruhe vor dem Kriegsgeschehen zu haben, zeigen Kösters Ausführungen zum September 1794. Zwar scheint die französische Militärverwaltung funktioniert zu haben, wie seine Aufzählung der verschiedenen Abgaben schließen lässt. Allerding ist dies anscheinend die einzige Stabilität in den damaligen Wochen. Denn auch wenn die Franzosen auf ihre regelmäßigen Kontributionen bestehen, ist die Gegend des gesamten linken Rheinufers bis hinauf nach Trier weiterhin der Schauplatz schwerer Auseinandersetzungen und unklarer Frontverläufe. Eine insgesamt schwankende Gemengelage, die zeitweise auch Kösters Heimatort führt. Was dies heißt, können wir in seinem September-Eintrag nacherleben.

Im Laufe des Oktobers 1794 enden die militärischen Auseinandersetzungen auf dem linken Rheinufer langsam, da sich die alliierten Truppen auf dem Rückzug befinden und sich über den Rhein zurückziehen. Neben den Abgaben, die weiterhin geleistet werden müssen, kann nun über die Entschädigung von Verlusten verhandelt werden, die durch die unmittelbaren Kriegshandlungen entstanden sind: Es bildet sich eine gewisse Normalität im Ausnahmezustand heraus.

Der November vor 200 Jahren scheint eine gewisse Ruhe verschafft zu haben: Außer von den üblichen Abgaben und einigen, allerdings weiter entfernt stattfindenden Kriegsereignissen, ist Kösters Eintrag zu diesem Monat sehr schmal. Ein ereignisarmer Monat dürfte den Menschen nach einer langen Phase der Unsicherheit nicht unrecht gewesen sein.

Die meisten militärischen Auseinandersetzungen fanden auch im Dezember 1794 in größerer Entfernung statt. Eine Ausnahme stellt die Bombardierung Mannheims dar, um die Mannheimer Rheinschanze (heute Ludwigshafen) zu erobern. Wir können dank Kösters Bericht erahnen, welch schaurige Erfahrung dies im ca. 20 Kilometer entfernten Friedelsheim gewesen sein muss.

Mit diesem Eintrag endet das Historische Fundstück um Karl August Kösters Tagebuch aus dem Jahr 1794 – jedenfalls vorerst. Da die ersten Einträge aus dem Jahr 1795 knapper sind, pausiert das Format im kommenden Jahr zunächst und wird in größeren Etappen fortgesetzt, bis Kösters Berichte zusammen mit dem erneuten Aufflammen des Koalitionskrieges wieder ereignisreicher werden. Seien Sie daher auf eine Fortsetzung im Jahr 2025 gespannt!

Zu den Monaten: Januar | Februar | März | April | Mai | Juli | August | September | Oktober | November | Dezember


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