Bräuche und Feste im Jahreslauf: Die Kerwe
Der zweite Teil unserer diesjährigen Reihe
Wenn das Jahr in den Spätsommer und Herbst übergeht, gibt es kaum eine pfälzische Gemeinde, in der kein Kirchweihfest, umgangssprachlich „Kerb“, „Kirb“ oder „Kerwe“, stattfindet.[1] Alljährlich ziehen die „Straußbuwe“ oder „Kerweborsch“ durch ihre Heimatgemeinden und berichten in ihrer „Kerweredd“ augenzwinkernd von Ereignissen, die innerorts in den vergangenen Monaten geschehen sind.
Gemeinsam wird mit Musik, Tanz und Umzügen mehrere Tage lang gesellig gefeiert, und dies auch nicht erst seit jüngster Zeit: In der Pfalz ist das Kirchweihfest bereits seit mehreren Jahrhunderten ein fester Termin im Jahreslauf vieler Dörfer, dem mit großer Vorfreude regelrecht entgegengefiebert wurde – ein „Glanztag des pfälzischen Volkslebens“[2], wie es Wilhelm Heinrich Riehl in den 1850er Jahren zusammenfasste. Der Historiker Ludwig Schandein (1813-1894) beschrieb die Kirchweih als den „stehenden goldenen Tag im Kalender des ländlichen Lebens“[3]. Der südpfälzische Lehrer und Heimatforscher Lukas Grünenwald charakterisierte sie Ende des 19. Jahrhunderts als „das fröhlichste und reichlichste aller pfälzischen Volksfeste“[4].
Die Kirchweihfeier galt gerade in früheren Jahrhunderten als Veranstaltung von besonderer Wertigkeit. Ursprünglich wurde damit der Weihe der Kirche gedacht, im Laufe der Zeit weitete sich das Feste allerdings zum Ereignis für die gesamte jeweilige Ortschaft aus. Teilweise uferten die Feiern so sehr aus, dass von „Freßkirben“ oder „Saufweihen“ gesprochen wurde. Nicht selten gab es von behördlicher Seite Verbote und Erlasse, um das Festtreiben zu reglementieren, beispielsweise im Rahmen der Leininger Polizeiordnung von 1566 oder innerhalb kurfürstlich-pfälzischer Erlasse aus dem Jahr 1754.[5]
Im Laufe der Zeit wurde die Kerwe zum alljährlichen Großereignis der Dorfgemeinschaft. Die Festdauer lag zwischen einem und vier Tagen, seit dem 16. Jahrhundert vorrangig im Spätsommer und Herbst terminiert. Zur Kerwe reiste die Verwandtschaft auch von weit her an, wurde üppig bewirtet und in das Festgeschehen eingebunden. Tage zuvor wurden die Häuser, sogar die Dorfstraßen geputzt, um alles für die Kerwe schön ansehnlich zu machen. Im Westrich existierte der Ausspruch: „Hedde mer net die Kerwe, missde mer im Dreck verderbe“.
Diverse Bräuche existieren in unterschiedlichen Varianten auch schon früher und sind bis heute pfalzweit auf vielen „Kerwen“ zu finden. Die bekanntesten davon seien hier kurz umrissen: Am Sonntagnachmittag präsentierten nach der Kirche die „Straußbuwe/Kerweborsch- und -mäde“ den „Kerwestrauß“, den sie zuvor gemeinsam gebunden und verziert hatten. Außerdem wurde die im Jahr zuvor beerdigte Kerwe gemeinsam wieder „ausgegraben“, meist in Form einer Flasche oder ähnlicher Gegenstände. Ein Umzug der Beteiligten ging durchs Dorf und endete am Wirtshaus, wo der Strauß angebracht wurde. Einer der „Straußbuwe“ hielt anschließend die „Kerweredd“, in welcher zumeist in Reimform Ereignisse und Begebenheiten aus dem Dorf zur Freude der anwesenden Zuhörer vorgetragen wurden, die ihrerseits die Höhepunkte der Rede mit begeisterten Ausrufen wie „Die Kerwe, sie lebe hoch“ honorierten. Weitere wesentliche Bestandteile des Kirchweihfests und Höhepunkte für alle Beteiligten waren Tanzveranstaltungen und Jahrmarktstreiben. Theodor Zink stellte noch 1908 fest, dass „jedes pfälzische Dorf, gleich jeder Größe, seine Kirchweih feiere“[6].
Nach wie vor erfreut sich die Kerwe großer Beliebtheit. Wie auch in früheren Jahren wurde dabei nicht nur das eigene Fest im Ort begangen, sondern es wurden auch die Kerwe-Feierlichkeiten in den Nachbarorten wahrgenommen. Eine Forderung der pfälzischen Handelskammer nach einer Vereinheitlichung der Kerwetermine im Jahr 1910, um die „Störung der Arbeitsabläufe zu reduzieren“, die aufgrund der verstreuten Kerwetermine alljährlich zutage traten, scheiterte übrigens letztlich auch am Widerstand der Gaststättenbetreiber, Weinhändler und Brauereibesitzer.
Das Foto-Fundstück aus unserer IPGV-Sammlung wurde anlässlich der Kerwe in Miesenbach in den 1930er Jahren aufgenommen. Deutlich zu sehen ist der geschmückte „Kerwestrauß bzw. -baam“, der bis heute auf keiner Kerwe fehlen darf.
Barbara Schmidt M.A.
[1] Ausführlich zur Geschichte der Kirchweihfeste in der Pfalz vgl. Keddigkeit, Jürgen: Die pfälzische Kerwe. Kerwebrauchtum im Wandel der Zeit, in: Ders. (Hg.), Feste und Festbräuche in der Pfalz (Beiträge zur pfälzischen Volkskunde 5), Kaiserslautern 1992, S. 39–92.
[2] Riehl, Wilhelm Heinrich: Die Pfälzer. Ein rheinisches Volksbild, Stuttgart/Augsburg 1857, S. 243.
[3] Schandein, Ludwig: Volkssitte, in: Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern, Bd. 4, 2. Abth., München 1867, S. 384.
[4] Grünenwald, Lukas: Ein pfälzischer Bauernkalender. Beitrag zur Volkskunde der Hinterpfalz, in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 20 (1896), S. 236.
[5] Vgl. Keddigkeit, Kerwe (wie Anm. 1), S. 43-45; zu weiteren Beispielen siehe u. a. Schwedt, Herbert und Elke: Bräuche zwischen Saar und Sieg (Studien zur Volkskultur in Rheinland-Pfalz, 5), Mainz 1989, S. 7-9.
[6] Zink, Theodor: Das pfälzische Festjahr, in: Das Bayerland 19 (1908), S. 442.